Liebe Welt,
das ist eine Liebeserklärung an Dich -
an die unzähligen Wege, die ich gehen kann, die ich gehen werde, und an die ich mich nicht traue,
an die Wege hoch und an die Wege nieder,
an jeden Stein, so klein er auch sein mag, weil er mal ein Teil eines Berges gewesen ist,
an die schöpferische Kraft der Zeit, die mich wie einen Fels aufbaut und zugleich verwüstet,
daran den Urlaub in mühsamer Bewegung zu verbringen und danach noch müder zu sein,
Angst zu haben und es aber zu genießen,
daran aus süßen Äpfeln Essig zu machen und an das Kartoffelparadoxon,
an der Sonne in meinen Augen und die nur darin aufblühenden Krokusse,
an den Gesichtsausdruck meiner Oma auf allen meinen Bildern,
daran, dass meine ganze Familie immer mit mir jeden Ort besucht, auch wenn ich dort alleine bin,
an alle meine Falten, mögen sie meinen Schwächen noch so verräterisch preisgeben,
an das Verlangen nach Zuhause, an die Fernweh,
an das "Ich will nicht zu Bett" meiner Tochter jeden Abend, obwohl sie ihre Augen nicht mehr aufhalten kann,
un an das "Bleib doch noch ein bisschen plaudern", wenn es schon so spät ist,
an die geheimen Ecken jedes Menschen, die nicht leicht zu finden sind, und doch so wunderschön,
an das Glück das richtige Wetter zu erwischen, an einem Ort, wo sich alle Jahreszeiten an einem Tag ausspielen,
an die grün-blaue undursichtige Farbe der Tiefe jeder Seele und der Bergseen,
an den Momenten, wenn alle das Wissen teilen, wo sie gerade sind und was es ihnen gekostet hat,
an das, dass wir für die schwierigsten Wege keinen Kompass benötigen und selbst immer in die richtige Richtung gehen können,
an die feuchte Hand eines geliebten Menschen,
an all die peinlichen Kletterbilder vor dem einen Bild auf dem ich stolz auf der Schroffe stehe,
an den gut gelaunten, geduldigen Fotografen, der sein bestes gibt, und ihren wahren Wert kennt,
an all die Menschen, mit denen ich solche Momente teilen will, obwohl ich nie dazu komme sie anzurufen,
an dem Glück frei zu sein und in Freiheit zu leben, gehen zu dürfen, wohin auch immer,
daran Wünsche zu haben und Träume, daran diese nicht aufzugeben, auch wenn sie ganz bestimmt nicht in Erfüllung gehen,
an den frühen Vogel, der alleine auf dem Weg ist, und sich vor Pumas fürchtet,
an die patagonische Himmel-schaft, als Gegensatz zur Land-schaft,
an den würdevollen Mann von dem ich das gehört habe,
an alle Rücken, die sich zu mir drehen und von mir langsam oder schnell weglaufen,
von denen ich weggehe und es aber nicht bedaure,
an alle Lächeln, die ich umsonst bekomme und für immer in Erinnerung behalte,
daran, dass wir alle mal Kinder waren und doch so schnell Erwachsen werden,
daran sich nochmal überwinden zu müssen, bevor man es tatsächlich zu Ende bringt,
daran, dass es auf jedem Weg sichere Zufluchten befinden, mit Menschen die einem Tee leihen,
oder einem sagen, wenn man Toilettenpapier aus der Hose hängt,
an die Erleichterung angekommen zu sein, nirgendwo sonst sein zu wollen, und am nächsten Morgen doch so bereit wegzugehen,
an die fallenden Sternen, die man sieht, wenn man vor Panik mitten in der Nacht aufwacht,
daran den Geburtstag des meist geliebten Menschen als erster um 2 Uhr nachts zu gratulieren,
an einem Menschen, der mich schon immer Freude nannte und sich immer freut, wenn er mich sieht,
und so freue ich mich auch auf ihn und erwarte ihn, wo immer er auch sein mag,
an die Kostproben eines Ausblicks, an den Glauben zu wissen, was einen erwartet, auch wenn es nicht stimmt,
an den Mut sich unzureichend zu informieren, auf alles gefasst zu sein und zu wissen, dass man keine Überraschungen erlebt, obwohl man Tag für Tag in Erstaunung verbringt,
an die hohe Mittagssonne, die uns schläfrig macht und verlegen,
an das Bedauern, das Gepäck so vorsorglich mit allem möglichen vorbereitet zu haben,
an die Erleichterung an anderen Menschen mit mehr Gepäck vorbeizulaufen,
voller Mitleid und ohne Schadenfreude, einfach so die Trauer stillgelegt,
an die mächtigen los Cuernos, an das Verlangen, sie wiederzusehen,
an die verbrannten Wälder, die silbern in der Sonne leuchten und wieder aufstehen,
daran dass sie jetzt noch viel schöner und einzigartig sind,
auch wenn es einem unheimlich wird,
an Bekanntschaften, die falsch anfangen und sich trotzdem zu besten Freundschaften entwickeln,
an unser aller Individualismus, auf Grund dessen wir Bekannte an unvorstellbarsten Orten am Ende der Welt begegnen,
daran mitten auf dem Weg zu sein, wenn es zu spät ist um umzuwenden und man einfach weitergehen muss,
an endlose Täler und tiefe Seen ohne eine einzige Ente,
an das erste Mal, wenn ich einen Eisberg gesehen haben, wenn ich gelernt habe, dass sie aus Süßwasser bestehen,
dass sie blau sind, wie der Himmel, weil sie kleine Luftpolsterchen enthalten,
daran Schmerzen zu haben, so dass mir die Tränen in die Augen kommen,
daran hilfsbereite Menschen zu treffen, mit Runzelfalten auf der Nase,
Menschen, von denen ich erzählen möchte und erzähle,
an die wunderschöne Farbe der chilenischen Waldorchideen,
daran als letzter vor der Nachtdämmerung daran vorbezugehen,
daran dass man ihre vergängliche Schönheit auf einem Bild festhalten kann,
auch nachdem sie der morgige Sturm vernichtet hat,
an alle komischen Posen, die man einnimmt, daran dass man nichts Würdiges einfällt, wenn die Landschaft so überwältigend ist,
daran dass Lago Grey eigentlich blau ist, und ich mich bei dem Wind nie auf dem kleinen Katamaran getraut hätte,
daran vom Gletscher gebrochenes Eis zu fischen und in Long Drinks zu trinken,
an die knappen, präzisen Wahrheiten, die wir in einem Gästebuch finden, wenn wir selbst zu müde sind, um was beizutragen,
daran, dass auf jeder Reise mit allen Klischees gebrochen wird, obwohl man immer gleich erkennt, woher die anderen kommen,
daran dass am frühen Morgen die Farben noch nicht da sind,
daran dass man zuversichtlich sein kann, das sie sie bringt,
daran Frühaufsteher auf dem Weg zu enttäuschen, weil sie doch nicht die ersten auf dem Mirador sein werden,
daran es geschafft zu haben und trotzdem noch zutiefst erschüttert zu sein.
Ich liebe Dich!
Tina